Die Politik nimmt sich immer mal wieder der Altersvorsorge/Falschberatung als Topthema an.
Zum Beispiel wird in der Saarbrücker Zeitung, der Welt und bei test.de über die neueste Studie zur privaten Altersvorsorge berichtet:
Allein Kunden, die einen Riester-Vertrag, eine Kapitallebensversicherung oder eine private Rentenversicherung abgeschlossen haben, verlieren dem Gutachten zufolge bis zu 17 Milliarden Euro pro Jahr. Sie seien beim Abschluss nicht ausreichend über Risiken, Ertragsaussichten, Zinssätze und Gebühren informiert worden…

Aha. Ich bin irritiert darüber, wie diese Zahlen erhoben wurden (dazu später mehr), glaube aber auch, dass die Schäden erheblich sind.

Nehmen wir an, die Zahlen wären wahr und füllen sie mit Leben:
17 Milliarden Euro im Jahr auf alle 80 Mio. Einwohner gerechnet wäre ein Schaden von ca. 215,- € Euro im Jahr. Pro Mann, Maus, Frau und Kind in Deutschland.

Na, das hört sich doch erst mal gar nicht so schlimm an, oder?
Rechnen wir aber weiter und ziehen das auf 47 Jahre, so wird es schon etwas schmerzhafter: gute 10.000,- Euro kostet jeden Einzelnen diese „Fehlberatung“.

Aber Moment… über lange Zeit und regelmäßiger Verlust?
Das sollte man wohl verzinsen: Denn das Geld, das wir nicht bekommen, hätte auch Ertrag erwirtschaftet, hätte man es denn nur anlegen können.
Also verzinsen wir es. Mit moderaten 3%?
Ja ich denke, dass ist auf eine so lange Laufzeit durchaus vertretbar.

Und dann kommt heraus, dass Dir, mir, Deinem Nachbar und Deinem Kind gute 21.500,- €uro in der Altersversorgung fehlen  – nur weil nicht das optimale Produkt gewählt wurde. Das ist viel Geld.

In der Rentenzahlung nachher macht das monatlich knappe 120,- Euro (20 Jahre lang!) aus. Diese 120,- Euro haben oder nicht haben können durchaus den Unterschied zwischen „Es geht mir ganz gut“ und „Ich muss böse rechnen“ machen.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wies dies zurück.

Das würde ich an deren Stelle auch tun.
Die Grundlage dieser Zahlen speist sich nämlich aus den nachweisbar gekündigten Verträgen der letzten 10 Jahre.
Dies würde demnach bedeuten, dass es hier nämlich „nur“ um den Schaden geht, der entstanden ist, weil ein vorzeitig aufgelöster Vertrag nun einmal Kosten verursacht und dies in der Summe jedes Jahr diese 17 Milliarden verursacht hätten.
Theoretisch ist das ein klassischer Äpfel-Birnen Vergleich und kann natürlich nicht aussagekräftig für die gesamte Bevölkerung sein.

Nein? Kann es nicht?

Wenn der Schaden aus gekündigten Verträgen (also die Verträge, die offensichtlich nicht passend zugeschnitten waren) schon bei 17 Milliarden liegt – wie schlimm ist es denn dann wirklich?
Ich glaube, die tatsächliche Zahl liegt noch weit höher.

«Insgesamt gibt es in Deutschland über 90 Millionen Lebens- und Rentenversicherungsverträge.» Wir haben 80 Mio Einwohner und 90 Mio Versicherungsverträge, die aus Altersversorgungsgründen abgeschlossen wurden.

Jeder von uns hat also mehr als einen. Ziehen wir noch die Kinder, Senioren und Vorsorgemuffel ab, so schätze ich, dass im Schnitt auf eine vorsorgende Person gut 3 Versicherungsverträge laufen. Die Durchhaltequote von langlaufenden (> 30 Jahre) Versicherungen liegt bei unter 25%.

Das heißt, von unseren 3 Versicherungen läuft nur eine bis zum Ende durch.
Setzen wir hier tatsächlich nur den aus der Kündigung entstehenden Schaden von 120,- Rentenverlust im Alter an, so fehlen alleine daraus 240,- Euro. Im Monat. 20 Jahre lang. Und das ist nur die Spitze des statistischen Eisbergs.

Die angebotenen Riester-Produkte müssten «ähnlich transparent, verständlich, kostengünstig und leistungsstark» sein wie das staatliche System, fordert Oehler.
Ja. Schöne Idee.

Verstehen Sie das staatliche System?

Empfinden Sie es als transparent, kostengünstig und leistungsstark? Guter Witz!

Ich liebe unser Rentensystem. Allerdings nur aus dem Grund, weil es nun einmal das einzige ist, das wir haben und weil auch eine suboptimale Vorsorge bedeutend besser als gar keine Vorsorge ist.Altersvorsorge_XS

Schließlich sollten betriebliche und private Altersvorsorge das sinkende Niveau der gesetzlichen Renten ausgleichen.
Da dies oft nicht der Fall sei, benötigten Verbraucher für den Abschluss eines guten Vorsorgevertrages mehr Glück als Verstand.

[bctt tweet=“Private und bAV sollen gRV ausgleichen, aber Verbraucher brauchen für einen guten Vertrag mehr Glück als Verstand.“ via=“no“]

Und hier kommt mein Einsatz.

Nein, der Verbraucher braucht kein Glück sondern er braucht Informationen! Wissen! Motivation! … finanzielle Bildung!

Und damit hat er auch genügend Wissen, um „sein“ Produkt so aussuchen und bewerten zu können, dass er es – auch bei langlaufenden Verträgen – bis zum Ende durchhalten kann.

Die deutsche Kreditwirtschaft lässt zu Riesterprodukten verlauten: Die Institute wiesen die Kunden auf alle wichtigen Vertragspunkte wie Kosten oder Gebühren ausdrücklich hin: «Wichtig ist es aber, seine eigenen finanziellen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen.»

Selbstverständlich steht in den Verträgen irgendwo drin, wie viel er kostet. Liest nur keiner. Und wenn er es liest, versteht er es nicht genau. Denn ist für die industrialisierte Finanzbranche überhaupt nicht möglich, ausführlich, ausdrücklich und intensiv die entstehenden Kosten zu besprechen:
Zum einen weil der Verkäufer dazu zu viel Zeit bräuchte, zum anderen weil er in vielen Fällen die Kosten selbst nicht ordentlich einschätzen kann und zum dritten weil Verkaufen so einfach zu mühsam wäre.

«Wichtig ist es aber, seine eigenen finanziellen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen.»

Ja. Da hat die Kreditwirtschaft Recht.
Ein kleines ABER hätte ich dabei doch noch anzubringen:
WOHER SOLL DER VERBRAUCHER DAS DENN KÖNNEN?

Jahrzehntelang hat die Kreditwirtschaft dem Verbraucher erzählt:

Vertrau mir nur, unterschreibe hier, ich kümmere mich um Dich!

Garniert mit einem (absichtlichen) Verkomplizieren der finanziellen Zusammenhänge hat sie hat dem Verbraucher Konsumkredite, Kreditkarten und Kontokorrentlimite hinterhergeworfen bis der gesunde Menschenverstand an diesen unbegrenzten Möglichkeiten jämmerlich krepieren musste.
Sie hat den Mythos der „fürsorgenden Finanzindustrie“ mit kräftiger Unterstützung der Regierung (unter anderem wegen ausgebliebener finanzieller Schulbildung!) gehätschelt bis zu einem fast komatösen Zustand von: „Die machen das schon richtig!“.

Und heute, wo diese Bewusstlosigkeit aufgrund Finanzkrisen, Zockerei und Altersarmut dem Misstrauen und Ohnmachtsgefühlen weicht, besitzt die Kreditwirtschaft die Frechheit, vom Verbraucher mündige Entscheidungen zu fordern?!

Liebe Kreditwirtschaft, liebe Verbraucherschützer, liebe Politik und liebe finanztest: Nicht nur die Entlohnung der Beratung zur Altersvorsorge ist das zugrundeliegende Problem. Auch nicht die mangelhaften Produkte, oder die hohen Kosten – sondern die fehlende Wissensgrundlage!

(Alle kursiv gesetzten Zeilen sind Zitate aus dem Artikel der Saarbrücker Zeitung vom 27.12.2012)