Diese Aussage fiel nicht dem aus Mund eines Betrunkenen. Oder eines pubertierenden Jungspunds. Nein, dieser Spruch war der Beitrag eines gestandenen Versicherungsvermittlers in einer ernsthaften Diskussion. Während einer Vereinsitzung. Das Gespräch drehte sich um die Finanzdienstleistungsbranche und Frauen. Sollte es hier eine Frauenquote geben? Warum sind nur knapp 25% aller Vertriebler Frauen, aber 75% aller Back-Office-Mitarbeiter? Besteht die Notwendigkeit, spezielle Beraterinnen für Frauen auszubilden?
Besagter Kollege begann seine Ausführungen mit den Worten: „Frauen haben im Verkauf doch sowieso eine ausgewiesene Abschlußschwäche. Sie führen zwar gute Beratungsgespräche, sind aber letztendlich nicht in der Lage, zügig eine Unterschrift unter einem Vertrag zu erwirken. Das ist aber auch evolutionär bedingt, denn Frauen haben noch ein Reptiliengehirn.“
Die weiteren Sätze zu dieser Schlußfolgerung habe ich nur noch rudimentär im Kopf, denn meine gesamten Ressourcen waren dahingehend gebunden, meine Gesichtszüge unter Kontrolle und meine Hände, die sich dringend um seinen Hals legen wollten, auf dem Tisch zu halten.
Durch den Nebel meiner Fassungslosigkeit drang nur noch, dass er diese Weisheit im Rahmen eines Vortrages eines der bekannteren Verkaufs- und Psychologietrainers erfahren hatte und sie ihm seither das Verständnis der Frauenwelt sehr erleichtere.
Natürlich habe ich ihn nicht meine – sehr großen! – Krokodilzähne spüren lassen, ich habe meine evolutiären Triebe unter Kontrolle. Aber ich musste gehen. Schnell.
Das Thema liess mich nicht los. Aha. So sieht das also aus. Frauen sind schlechtere Verkäufer (welcher Beruf dreht sich nicht letzendlich um den Verkauf?), weil sie sich nicht weiterentwickelt haben seit der Eidechse übers Höhle hüten bis zum Obst einkochen. Logisches Fazit: Die Emanzipation ist eine per se unnötige Bewegung, denn Frauen sind einfach nicht in der Lage, in der Berufswelt den gleichrangigen Platz neben den Männern auszufüllen. Gut zu wissen.

Ich habe dann mal recherchiert, denn dieser gequirlte Quatsch muss ja irgendeinen Ursprung haben. Hier also die (stark gekürzte und in meinen Kontext gesetzte) Erklärung:

Als „Reptiliengehrin“ wird das limbische System bezeichnet, welches zu den ältesten Arealen des menschlichen Gehirns gehört. (Darüber verfügen im übrigen auch Männer.) Dieses Gebiet wird aktiv, wenn eine emotionale Reaktion erfolgt, zum Beispiel, wenn jemand aus Ärger oder Wut handelt. Teile des limbischen Systems steuern nun den Vorgang, das Kontrollsystem ist – abhängig von verschiedenen Faktoren – ausgeschaltet.
In wie weit das Kontrollsystem ausgeschaltet wird, hängt auch davon ab, wie stark sich der Mensch mit einem klassischen Rollenbild identifiziert. Patriarchale Strukturen ermutigen Männer zu Dominanzverhalten, denn in der männlichen Geschlechterrolle ist aggressive Körperlichkeit nach wie vor fest verankert. Während Männer also ihre Impulse ausagieren dürfen, werden Frauen gesellschaftlich verpflichtet, Konflikte friedlich zu lösen.

So sieht das alles doch schon ganz anders aus:
Davon abgesehen, dass besagter Patriarch sich offensichtlich den Inhalt besagten Vortags phantasievoll „zurechgebogen“ hat, ist es in der männerdominierten Finanzbranche dann wohl so, dass manche Herren Kollegen ihren Beruf als Kampf auffassen. Und wenn aggressives Verhalten dazu prädestiniert, Unterschriften von verschreckten Kunden unter den Verträgen zu erhalten, so sei es ihnen vergönnt.
Ich möchte nicht tauschen.