Mehrmals im Jahr finden diverse Fachmessen und Kongresse für die Finanzbranche statt. Selbstverständlich findet sich an solchen Veranstaltungen das Who is Who ein: Neben Softwareherstellern, Fonds- und Versicherungsanbietern und Online-Banken sind auch viele Menschen im Haus, die Rang und/oder Namen haben.

Ich liebe solche Gelegenheiten, auch mal mit Instanzen wie Prof. Dr. (die Titel sind wichtig!) Max Otte  oder Dr. Kommer sprechen zu können und natürlich ist es schön, Kollegenkontakte zu pflegen mit denen man vollkommen ungehemmt fachsimpeln kann und alles besserwissen darf.

Grundsätzlich unfachlich und absolut untypisch für mich sind allerdings meine ersten Gedanken wenn ich eine solche Veranstaltung betrete:

Ich bin ja so froh, eine Frau zu sein.

special-service agentEs bietet sich nämlich immer das gleiche Bild:
In den Räumen befinden sich hunderte – hauptsächlich mittelalte – Männer in schwarzen, oder zumindest dunklen, Anzügen. Mit grauem Schlips, vereinzelt kariert oder in gewagtem rot (aber nur der Schlips bitte!). Schwarze Lederschuhe. Ordentlicher Business-Haarschnitt. Mit ernsthaften Mienen in kleinen Grüppchen umherstehend und auf jeden Fall richtig aussehend, am besten sogar wichtig.
Klischee pur.

Ich fühle mich dann jedesmal als was Besonderes.
Alleine dadurch, dass ich kein Mann bin.
Wenn man nur 158 cm hoch ist und keine Lust hat, in der Masse unterzugehen, ist das schon mal ein guter Anfang – aber sehr irritierend.

Natürlich bin ich nie die einzige Frau.

business couple woman man handshake silhouetteDenn auf diesen ganz und gar unbunten riesigen Männerhaufen kommen etwa 5% Frauen.

95% von denen wiederum stecken in einem dunklem Anzug oder einem Kostüm mit Minirock, größtenteils mit Highheels.

(Aprospos Highheels:
Warum tut (Finanzfach)frau sich eigentlich einen ganzen Tag des Herumstehens in 10 cm hohen Absätzen an? Wäre ich Feministin, so fiele mir dazu bestimmt allerlei Despektierliches ein.
Als Geschäftsfrau ziehe ich bei solch langen Veranstaltungen, bei denen es um meinen Beruf und nicht um mein hübsch anzusehendes Äußeres geht, prinzipiell keine hohen Schuhe an: Drohende Stürze und/oder schmerzende Füsse lenken ab und behindern das logische Denken.
Auch wenn ich neidvoll anerkennen muss, dass es wirklich gut aussieht – es ist weder gesund, noch in irgendeiner Weise bequem: Ich bin eine Frau, ich weiß das.)

Klar ist: So ein Kongress ist keine Spaßangelegenheit.

Hier geht es darum, Informationen aufzusaugen, schamlos Ideen zu klauen, Kooperationen anzubahnen, Geschäftspartner zu finden.
Also kann man solche Gelegenheiten gut nutzen, sich unverbindlich zu einem ersten persönlichen Kennenlernen mit eventuellen Kooperationspartnern zu verabreden. Bei mir ist die Neugier auf diese Personen natürlich zu groß, um gelassen auf den verabredeten Zeit- und Treffpunkt zu warten: ich prüfe jedes vorbeiziehende Namensschild.
Normalerweise denke ich selten darüber nach, was männlich oder weiblich ist. Oder was ich bin oder lieber wäre. Spätestens jetzt bin ich aber genervt – und gleichzeitig

erleichtert, eine Frau zu sein.

Denn ich starre jedem Mann auf die Brust. Intensiv.

Es ist eine Herausforderung, in knapp 2 Sekunden Firma/Gesellschaft und Männername in Schriftgröße 12.0 zu entziffern, gedanklich in Zusammenhang zu bringen und auf Verwertbarkeit zu prüfen.
Wahrscheinlich macht es auch einen debilen Gesichtsausdruck.

Und jetzt – endlich! – habe ich auch die Erklärung für diese professionell-gelangweilte Maske, die in unserer Branche Standard ist: Das ist reiner Selbstschutz!
Denn mal im Ernst: Ich nehme an, dass auch Männer bedeutend lieber arrogant aus der Wäsche schauen, anstatt auszusehen, als könnten sie nicht bis 3 zählen…

(Mir kann übrigens keiner erzählen, dass Männer ihre Neugier auch nur ein Quäntchen besser zügeln könnten als Frauen. Männer haben da nur irgendeinen Trick beim Entziffern der Brustschildchen. Wahrscheinlich haben sie da einfach mehr Übung.)

Liebe Kollegen, auch wenn Konvention und Tradition nicht immer schlecht sind und das Tragen von Anzügen vermeintlich Seriosität und Selbsicherheit ausdrückt – so wundere ich mich doch darüber, dass wir anscheinend sogar „unter uns“ kostümiert sein müssen.

Müssen wir uns etwa sogar gegenseitig davon überzeugen, dynamisch und erfolgreich zu sein?

Ist dieser Dresscode wirklich noch notwendig – geschweige denn zeitgemäß?